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Beschreibung des Studienfaches Vergleichende Literaturwissenschaft
Die Vergleichende Literaturwissenschaft beschäftigt sich mit Literatur(en) in ihren transnationalen, interkulturellen und intermedialen Zusammenhängen. Sie geht damit per definitionem über die literaturwissenschaftliche Analyse im engeren Sinn und den Horizont von Einzelphilologien hinaus.
Ihr Gegenstandsbereich ist die Weltliteratur. Der Begriff bezeichnet hier nicht einen Kanon herausragender, überzeitlich gültiger Werke, und ebenso wenig verweist er auf die gesamte literarische Produktion aller Zeiten. Gemeint sind vielmehr (in Anlehnung an die Konzeption Goethes, aber auch in deren Abwandlung) transnationale literarische Kommunikationszusammenhänge, genauer, die global vernetzten literarischen sowie intermedialen Produktions- und Rezeptionsprozesse. Die Internationalisierung der Literatur hat im Zuge der Globalisierung an Intensität und Komplexität gewonnen. Das verleiht unserem Fach seine besondere Aktualität. Globalisierung ist jedoch nicht erst und nicht nur ein Phänomen der Gegenwart. Im Laufe der Geschichte hat es vielmehr immer wieder Globalisierungsschübe gegeben, die die Herausbildung transnationaler literarischer Formationen befördert haben. Aus historischer Perspektive erscheint die nationale Segmentierung der Literaturen daher nur als Episode. Friedrich Schlegel, ein bedeutender Vordenker der Komparatistik, hat dies bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts klar gesehen: „Wenn die nationellen Teile der modernen Poesie aus ihrem Zusammenhang gerissen und als einzelne für sich bestehende Ganze betrachtet werden, so sind sie unerklärlich. Sie bekommen erst durch einander Haltung und Bedeutung."
Unter der Prämisse einer globalen Vernetzung der Literaturen untersucht die Komparatistik die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Texten, Formen, Genres, literarischen Strömungen und Institutionen, sofern sie über einen nationalkulturellen Rahmen hinausgehen. Konkret beschäftigt sie sich mit jeweils anderssprachigen Rezeptionen von Werken und AutorInnen, mit Spielarten der Intertextualität, mit der Herausbildung transkultureller Form- und Gattungskonventionen, mit der grenzüberschreitenden Verbreitung von Themen, Stoffen und Motiven, mit der Formierung transnationaler Stil- und Epochenzusammenhänge, mit Theorien und Praktiken der Übersetzung, mit Traditionslinien übergreifenden literatur- und kunsttheoretischen Reflexionen u.a.m.
Ein wesentliches Merkmal komparatistischen Arbeitens ist, dass es Grenzen verschiedenster Art hinter sich lässt: Es überschreitet die zwischen einzelnen Sprachen und Kulturen ebenso wie die zwischen Literatur und anderen Künsten, anderen Medien, anderen Wissensformen. Ein Arbeitsfeld der Komparatistik, das immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist in diesem Sinn der Bereich der Intermedialität, in dem Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Künsten und Zeichensystemen analysiert werden. Welche Begegnungen gibt es z.B. zwischen Literatur und Malerei, Architektur, Fotografie, Film…? Wie verhalten sich Text und Musik in Oper, Musiktheater…? Wie verändern sich Poesie und Tanz, Literatur und performance aneinander? Welche Konstellationen gehen Text und Bild ein in Buchgestaltung, Comic, Karte, Diagramm…? Welche Formen zeigen sich zwischen den Polen Schrift und Bild? Was ändert sich mit den elektronischen Medien? Ein jüngeres Arbeitsfeld der Komparatistik sind außerdem die vielfältigen historischen Korrelationen von Wissen und Literatur: Welche spezifische Form von Wissen wird von der Literatur produziert? Und welche Literatur von einer spezifischen Form des Wissens? Wie verhalten sich die (szientifischen, praktischen, literarisch-künstlerischen…) Modi der Wissenserzeugung zueinander?
Intermediale und wissensgeschichtliche Fragestellungen entwickeln sich im Kontext einer Neuorientierung, die das Fach Komparatistik kulturwissenschaftlich erweitert. Sie impliziert veränderte methodologische Akzentsetzungen auch im Bereich der traditionellen komparatistischen Arbeitsfelder, eine verstärkte Reflexion auf die Einbindung der Literatur in kulturgeschichtliche und (inter- bzw. trans-)kulturelle Kontexte und somit auf Fragen der Kulturtheorie, der Kultursemiotik, des Kulturkontakts und des Kulturtransfers, der Xenographie, des Postkolonialismus und der Migration.
Eine Komparatistik, die ihren Horizont in diesem Sinne erweitert, vollzieht Grenzüberschreitungen nicht nur in den Bereich der benachbarten Literatur- und Kunstwissenschaften, sondern auch auf das Terrain der Philosophie, der Ethnologie, der Medien-, Gesellschafts- und Lebenswissenschaften. Komparatistik hat immer schon interdisziplinäres Arbeiten bedeutet; in ihrer aktuellen Version verfährt sie interphilologisch, intermedial und transdisziplinär. Ihr ‚Ort’ sind die Schwellen und Ränder zwischen diversen Fächern. Das bedeutet indes gerade nicht, dass es sich bei der Komparatistik um eine Randdisziplin handelt. Unser Fach begreift seine Schwellenposition vielmehr als besondere Chance, vertraute Sichtweisen aufzubrechen und neue Konfigurationen zu erzeugen.
Christian Moser / Sabine Mainberger