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Nachruf auf Professorin Hiltrud Gnüg

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Das Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft trauert um Frau Professorin Dr. Hiltrud Gnüg, die am 25. November 2022 überraschend in Köln verstarb. Wir verlieren mit ihr eine geschätzte langjährige Kollegin und herausragende Wissenschaftlerin und akademische Lehrerin.

Hiltrud Gnüg, geboren am 13. April 1944, gehörte unserem Institut seit dem 1. Oktober 1984 als Professorin für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft bis zu ihrer Emeritierung am 8. September 2009 an und blieb ihm auch danach auf vielfältige Weise verbunden.

Ihren akademischen Werdegang absolvierte Hiltrud Gnüg im Wesentlichen an der Universität Köln, unterbrochen durch ein zweisemestriges Studium an der Sorbonne-Universität in Paris. Im Jahr 1971 promovierte sie an der Philosophischen Fakultät mit einer komparatistisch ausgerichteten Arbeit über Don Juans theatralische Existenz. Typ und Gattung, die 1974 im Druck erschien. Ihr Hauptfach der neueren Germanistik wurde durch die Nebenfächer Romanistik und Musikwissenschaft ergänzt.

Nach einer wissenschaftlichen Assistenz in Köln bei Professor Walter Hinck, ihrem Doktorvater, folgte 1981 die durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Habilitation mit einer ebenfalls komparatistisch angelegten Arbeit über Entstehung und Krise lyrischer Subjektivität, die zwei Jahre später (1983) in Stuttgart im Metzler-Verlag erschien. Es handelt sich um eine breit angelegte historische Untersuchung des zu dieser Zeit (seit Mitte der siebziger Jahre) viel diskutierten Begriffs und Phänomens einer „neuen Subjektivität“ in der zeitgenössischen Lyrik und darüber hinaus der Literatur allgemein, den die Autorin von ihrem Ursprung beim jungen Goethe über die Frühromantiker Novalis und Tieck, den französischen Symbolisten (Baudelaire, Mallarmé) bis zu den deutschen Expressionisten und ihren Nachfolgern (Benn, Eich, Celan) in detaillierten Textanalysen und unter Einbettung der individuellen Werke in die jeweiligen geistes- und literaturgeschichtlichen Kontexte verfolgt. Der bedeutenden, grundlegenden Arbeit war nicht zuletzt aufgrund ihrer Aufnahme einer aktuellen (deutschen) Diskussion und der europäischen Perspektiverweiterung eine rege Rezeption beschieden.

Vor ihrer Berufung nach Bonn war Hiltrud Gnüg vom Sommersemester 1976 bis zum Wintersemester 1982 Mitglied im Vorstand des deutschen Germanistenverbandes. Im November 1983 erhielt sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Heisenberg-Stipendium. Im Herbst 1986 lehrte sie als Gastprofessorin an der Washington University in St. Louis, Missouri. Professorin Hiltrud Gnüg war als Organisatorin und Teilnehmerin an zahlreichen Kongressen eine respektierte professionelle Präsenz ihres Fachs im In- und Ausland. Besondere Hervorhebung verdient in diesem Zusammenhang ihr (gemeinsam mit Renate Möhrmann) herausgegebenes und ebenfalls im Metzler-Verlag erschienenes kompendiöses Sammelwerk Frauen Literatur Geschichte. Schreiben vom Mittelalter bis zur Gegenwart (1985), dessen große Wirkung wesentlich zur feministischen Revision des germanistischen Kanons beitrug.

Prof. Gnügs wissenschaftliche Interessen, die auch zu einem großen Teil die Gegenstände ihrer Lehrveranstaltungen bestimmten, knüpften an die inhaltliche und methodische Ausrichtung der genannten Qualifikationsschriften an. Neben zahlreichen Artikeln in Fachzeitschriften sind ihre meist im Reclam-Verlag erschienen Monographien zu erwähnen, deren souveräne Überblicksdarstellungen europäischer Gattungs-, Themen- und Figurentraditionen - literarische Utopieentwürfe, utopischer und erotischer Roman, die Figuren des Don Juan oder des Dandy - nicht zuletzt wegen ihrer klaren und unprätentiösen Darstellung eine über das engere Fach hinausgehende Leserschaft fanden. Zu erinnern ist auch an ihre journalistische Aktivität, wie sie durch ihre für den WDR Köln seit den siebziger Jahren verfassten Funkessays, hauptsächlich zur zeitgenössischen Literatur, sowie ihre langjährige Mitwirkung bei internationalen Hörspielwettbewerben bezeugt wird. Mehrere spätere Gedichtanthologien und ihnen zugeordnete Interpretationsbände demonstrieren dieselbe Kennerschaft und dasselbe Engagement für eine lebendige Dichtung. Nicht das geringste Zeugnis für Hiltruds Gnügs sensiblen und textnahen Zugang zur Literatur sind die sprachliche Präzision wie die stilistische Eleganz, die alle ihre Arbeiten auszeichnen.

Die Angehörigen des Instituts für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn werden Frau Professorin Hiltrud Gnüg in ehrendem Gedächtnis behalten.
 

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